Warum gibt es in Mitteleuropa keine wilden Honigbienen mehr?

  • Hallo,
    ich möchte diesen thread http://imkerforum.nordbiene.de/viewtopic.php?f=2&t=1351 nochmal reanimieren und die Frage etwas allgemeiner stellen: Warum gibt es in Mitteleuropa (zumindest lokal) keine selbsterhaltenden Bestände wilder Honigbienen mehr ?


    Bergfunker schreibt in seinem Beitrag (http://imkerforum.nordbiene.de/viewtopic.php?f=2&t=1522), dass es in den 60igern noch wilde dunkle Bienenvölker in den brandenburgischen Wäldern gab. Er spricht damit ein Thema an, dass mich schon lange interessiert, wo ich auch schon Literatur gesucht und anderswo Forenanfragen gestellt habe und nie eine verwertbare Antwort gefunden habe: Seit wann gibt es in Deutschland und Mitteleuropa keine sich selbst erhaltenden wilden Bienenpopulationen mehr ? Es geht also nicht um ausgerissene Schwärme, die im Wald noch eine Weile überleben, sondern um stabile Wildpopulationen. Ich gehe davon aus, dass diese Wildpopulationen schon vor der Einschleppung der Varroa erloschen sind. Bisher bin ich auch immer davon ausgegangen, dass die Wildpopulationen schon vor der massiven Verdrängungszucht (also ca. Mitte 20. Jh.) weg waren. Bergfunker erwähnt, dass die Wildvölker häufig waren, was m.E. dafür spricht, dass es sich wirklich noch um Wildpopulationen gehandelt hat.
    Ich finde das Thema u.a. deswegen interessant, weil ich eigentlich keinen Grund für das flächendeckende Aussterben der wilden Honigbienen schon vor der Varroa erkennen kann. Zumindest nicht in Gegenden mit abwechslungsreicher Vegetation und großen Laubwald-Beständen, wo in alten Bäumen auch genug Nisthöhlen zu finden sind (die fehlen in reinen Nadelholzproduktionswäldern natürlich, ebenso wie ein Trachtfließband).
    Die viel beklagte Trachtverschlechterung trifft durchaus nicht für alle Gebiete Deutschlands zu, zumal den erwähnten Laubwaldgebieten. Ich halte sie als alleinige Erklärung für das Aussterben der wilden Honigbienen für unzureichend. Es sind schließlich selbst heute Honigernten möglich, die weit über den Eigenbedarf eines Volkes hinausgehen, auch wenn kein Raps oder andere Agrar-Trachten in der Nähe sind. D.h. Reproduktion hätte möglich sein müssen, Schwärme und Restvölker hätten sich in manchen Gegenden sicher noch ausreichend versorgen können.
    Wo liegen nun also die wahren Ursachen ? Hängt es damit zusammen, dass die einheimische Biene verbastardiert und verdrängt wurde und die Neuankömlinge ohne menschliche Hilfe hier nicht klar kommen ?


    bin neugierig auf eure Gedanken dazu und vielleicht ist ja jemandem doch etwas an Fakten bzw. Publikationen zu diesem Thema
    bekannt.

  • Hallo Stefan,


    danke für Deine "Reanimierung" des Themas. Da der bisherige Thread seit knapp einem halben Jahr nicht mehr angefasst wurde, habe ich Dein Thema einem neuen Thread zugeführt, Dein Einverständnis vorausgesetzt.


    So nun zurück zum Thema und zur Frage: Warum gibt es in Mitteleuropa keine wilden Honigbienen mehr?


    LG
    Kai

  • Mit Beginn der Nutzbarmachung der Honigbiene und deren Ressourcen war es vorbei mit lustig in den Bäumen zu siedeln. Schon im Mittelalter war ein deutlicher Verlust an Bewaldung in Mitteleuropa zu beobachten. Man bedenke was alleine die spanische Armada für den Bau ihrer Schiffe benötigte. Und Heute, Nutzwälder wohin man schaut deren Bäume kaum noch Höhlen beherbergen.
    Die Ressourcen der dunklen Honigbiene waren und sind eindeutig alte Bäume die bekanntlich hohle Räume bilden. Zeidler machten sich dies zu Nutze, aber auch damit war bald Schluss und Heute gibt die Milbe frei lebenden Völkern den Rest.

  • Das ist eine schwierige Frage.
    Freilebende Bienen in Mitteleuropa waren ausschließlich A.m.m.m..
    Unsere Zuchtauslese spielt sicherlich eine große Rolle.
    Dabei sind wichtige Überlebensstrategien systematisch unterdrückt worden.
    Möglicherwiese verhindern wir auch eine Anpassung an die Milbe.
    Schauen wir uns die afrikanisierte Honigbiene an.
    Sie hat sich all diese Eigenschaften, die wir nicht mögen, erhalten.
    Sie überlebt ohne uns bestens und breitet sich erfolgreich aus.
    sagt sich Elk

  • Der Untergang der Honigbiene muss differenzierter betrachtet werden. Zu DDR-Zeiten waren die Wälder östlich Berlins noch stark vom Krieg belastet. Die Räumung dauerte bis in die 60iger Jahre. Daher waren die Wälder noch ziemlich Jungfräulich. Viel Mischwald und viel abgestorbene Bäume. Auch als Resultat von Kriegshandlungen. Es standen noch jede Menge offene Feldscheunen, Transformatorentürme, Mühlenruinen sowie alte verlassene Gehöfte und Häuser. Mitte der 60iger kam es zu einer neuen Enteignungswelle bis Anfang der 70iger.
    Bauern wurden zu LPG, MTS und Meliorationsbau zusammen geschlossen. Größe Forstbetriebe entstanden. Man ging Freitag Mittag aus der PGH mit ein Monatsverdienst von über Tausend Mark nach Hause, um Montag früh vor ein VEB Betrieb zu stehen, mit ab so fort 450,- Mark im Monat. In der Situation wurden die Felder bereinigt. Scheunen, Mühlen und Ruinen abgerissen. Die Forstbetriebe begannen Systematisch die Wälder aus zu forsten, neue schnellwachsende Baumsorten zu pflanzen und Kahlschläge ohne Maß durch zu führen.
    Der Lebensraum der Bienen wurde minimiert. Hiezu kam, das viele ältere nur Renten von 50,- bis 125,- Mark im Monat erhielten. Für ein wilden Bienenschwarm bekam man ca. 30,- bis 40,- Mark. Wer gut war konnte so von Mai bis Juni gut 500,- bis 1000,- Mark nebenbei verdienen. Ein Teil Völker wurde für den Eigenbedarf behalten, der Rest verkauft um Unkosten zu decken. Damit war so um 1970/71 Schluss. Laut Politbürobeschluss wurde die Imkerei komplett auf neue Rassen umgestellt. Die Umstellung ging bei uns bis etwa 1973 und wurde jährlich kontrolliert. Es gab ab dann kein Grund mehr wilde Bienen zu fangen. Ob es tatsächlich reinrassige DB waren, mag dahin gestellt bleiben. Ich weis nur noch das sie sehr dunkel waren und auch wesentlich kleiner als unsere heutigen. Die Völker selber waren auch nicht ganz so groß wie heute, lieferten aber reichlich Honig. Der Nachteil war nur ihre Flugfreudigkeit. Einige Völker waren sehr nervös. Nahm man ihnen den ganzen Honig aus dem Honigraum, dann war mitunter 1 Woche später das ganze Volk komplett ausgezogen. Man brauchte also immer Ersatz. Ein weiteres Problem waren die Bienenbeuten. In der Regel Hinterbehandlungsbeuten mit Brutraum und Honigraum. Manchmal waren die Türen und Rähmchen derart verklebt, das gewaltsam vor gegangen werden musste. Dabei ging einiges zu Bruch und die Bienen verabschiedeten sich dann meistens durch den Stress. Dann kam noch ein weiteres Problem dazu. Das Oderbruch war ständig überschwemmt, Dämme brachen und Milliarden Mücken terrorisierten bis Berlin. Anfang der 70iger Jahre wurde dann Nachts massiv mit Insektiziden aus der Luft gesprüht. Das Zeug war so durchschlagend, das selbst die Waldvögel verendeten. Die Bienen hatten keine Chance mehr sich zu erholen. Ich habe mein letzten wilden Schwarm im Mai 1973 in einer uralten Eiche gesehen. Im Oktober war sie ein Kahlschlag gewichen. Umweltschutz wurde zwar groß geschrieben, aber nur dort, wo er nicht mit der Planwirtschaft kollidierte. Ich denke mal ab Mitte der 70iger Jahre hatten die wilden Bienen keine Überlebenschancen mehr. Es fehlte einfach an geeigneten Bruthöhlen für ein Schwarm. Somit kann man sagen das hier viele Faktoren, auch durch Unwissenheit zusammen liefen, die Misere somit handgemacht war. Eines kann man jedoch mit Sicherheit behaupten, die Varroa war jedenfalls nicht schuld an der Ausrottung. Die kam erst später durch russische Offiziere über Sibirien, DDR und Rumänien zu uns. Die Russen hatten bei ihren Afghanistan Feldzug viele asiatische Offiziere, bei dehnen das Plündern bei Feinden zur Tradition gehörte. So wurden Massenhaft Bienenvölker beim Abzug gestohlen und bei Versetzung nach Rumänien und der DDR einfach mitgenommen. Was sie nicht wussten war, das diese gestohlenen Bienen sich mit unseren nicht verpaarten. In der Regel den ersten Winter auch nicht überlebten. Völker die zu Grunde gingen, wurden einfach auf die nächste wilde Müllkippe abgekippt und fertig. Die Varroa fand dann schnell in unseren Bienen ein neuen Wirt ohne Abwehrmechanismen. Zur Verbreitung trug aber auch das bestreben bei, Valuta zu sparen. So wurden kurzer Hand unbegattete Königinnen in Grenzgebiet gebracht und dort hat man sie als „Grenzverletzer“ wohlwollend als Deviseneinsparer weiter entwickelt. Wer heute mit offenen Augen durch die Wälder geht, muss feststellen, es gibt kaum natürliche Nisthöhlen für Bienen. Abgegangene Schwärme dürften demnach eine Überlebenschance von vielleicht 1 Jahr haben. Selbst die Feldknicke und Kopfweiden sind entsorgt worden um mehr Profit aus dem Boden zu schlagen. Die Quittungen erhalten wir jetzt.
    Bergfunker

  • Hallo Bergfunker, eine schöne Zusammenfassung -Berichte dieser Art wünschte ich mir mehr. Diese "uralte Eiche" es ist dass, was uns heute fehlt denn obwohl wir eine Baumschutzsatzung haben wird überall aus Sorgfaltspflicht der Städte geholzt; es ist ja nicht nur die Honigbiene die alte Bäume braucht.
    Grüße

  • Hallo Bergfunker,


    auch von mir ein ganz herzliches Dankeschön.


    So wie Du es toll beschrieben hast, wird es wohl in ganz Europa gelaufen sein. Seit Jahrhunderten wurden die natürlichen Lebensräume der Waldbiene zerstört, nämlich die Urwälder Europas und mit ihnen die uralten Eichen (500 Lebensjahre und mehr).


    Je weiter westlich in Europa, desto stärker tritt diese Entwicklung hervor; je weiter östlich desto weniger. Die Zerstörung der Urwälder setzte mit der Römerzeit und der Verbreitung der römischen Kultur ein. In Osteuropa, im Ural, soll es heute noch wildlebende Bienenvölker geben, in den dortigen noch vorhandenen, wenigen Urwäldern.


    Summa summarum: wir leben in Europa in einer zerstörten Natur. Hinzu kommt dann noch die Varroa, die ein Bienenvolk ohne Behandlung maximal 3 Jahre alt werden lässt.


    Vielen DAnk nochmals.


    LG
    Kai

  • Hallo Bergfunker,
    vielen Dank für deinen ausführlichen Beitrag. Es ist gut, dass es noch Zeitzeugen gibt, die dazu was zu sagen haben. Für uns Jüngere ist das alles sonst nur so eine diffuse Geschichte. Ja, es sind wohl einfach zu viele ungünstige Einwirkungen aufeinander getroffen.
    Bei uns im Biosphärenreservat Mittlere Elbe gibt es noch regelrechte Urwälder, mit den besagten dicken und durchlöcherten Eichen zu hauf. Aber wahrscheinlich sind solche Fleckchen einfach zu klein (gewesen), als dass sich dort Populationen erhalten konnten, zumal die anderen Belastungsfaktoren ja auch hier wirkten.
    Erstaunlich, dass du schreibst, dass die Bienen ziemlich klein waren. Das sind meine Schwedinnen nämlich auch. Die Braunellen hingegen sind wieder sehr groß und eigentlich wird die Dunkle ja auch allgemein als große Biene beschrieben. Stimmt so vielleicht gar nicht.

  • Hallo Kai,
    Übrigens ist doch das Vorhandensein wilder DB in Osteuropa bzw. im Ural wäre doch eigentlich mal eine Forschungsreise wert, zumal die sich ja auch mit der Varroa selbständig auseinandersetzen müssen. Ich habe im Fernsehen schon paar mal eine Reportage aus Baschkirien gesehen, wo moderne Zeidler zu Pferde zu ihren Waldbienen ritten um den Wabenhonig (Haupttracht Linde) zu schneiden. Dort fanden wohl keine "gesundheitserhaltenden"
    Betreuungsmaßnahmen statt.

  • Hallo Freunde der „wildlebenden Bienen“, ich habe eine interessante Notiz in den Abhandlung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Heft 65 –1954, gefunden. Diese stammt
    von F. K. Stoeckhert: Fauna Apoideorum Germaniae .


    F.K. Stoeckhart war ein angesehener Wildbienen Faunist seiner Heimat Unterfranken. Auf Seite 65 schreibt er wie folgt:


    2. Tribus: Apini
    19. Gattung: Apis Linnaeus, 1758
    Genotypus: Apis mellifica Linnaeus, 1766 = Apis mellifera Linnaeus, 1758


    1. A. mellifica Linnaeus, 1766 – Die Zahl der im Walde lebenden Bienenvölker scheint doch größer zu sein, als man gewöhnlich annimmt. Sie entziehen sich nur allzu leicht der Beobachtung; denn die Fluglöcher liegen vielfach in der Laubkrone versteckt sehr hoch über dem Erboden. So fand ich im „Eichenwald“ zu Erlangen unter einer großen Eiche wiederholt kleine Wabenstücke und Bienenleichen, ohne dass ich die Lage des Stockes feststellen konnte. Im Nürnberger Reichswald, dem klassischen Gebiet des fränkischen Zeidelwesem, beobachtete ENSLIN (brfl.) an verschiedenen Orten mehrere Jahre hindurch Völker, die sich in alten Eichen angesiedelt hatten. Noch größer scheint die Zahl in den ausgedehnten Laubwäldern des südlichen Steigerwaldes zu sein. Im Forsthaus Hellmitzheim fliegen fast alljährlich einige Schwärme aus dem Walde zu und ein Volk nistete dort seit Jahren in dem Fehlboden zwischen dem Erdgeschoss und dem 1. Stock des Hauses. Das Flugloch liegt unmittelbar über der Haustüre.
    Zweifellos ist aber die Zahl der Waldbienenvölker heute doch viel geringer als im Mittelalter, wo sie Jahrhunderte hindurch die Grundlage für das blühende Zeidelwesen bildeten. Allein in dem südlich von Nürnberg gelegenen Abschnitt des Reichswaldes, dem Lorenzer Wald, gab es nach ZANDER (1916) damals 92 Zeidelgüter, die vorwiegend vom Ertrag der Waldbienenzucht lebten. Der Niedergang des Zeidelwesens setzte bereits in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts ein. Die Ursachen lassen sich schwer ergründen, und man kann eine ganze Reihe von Einflüssen dafür verantwortlich machen. Der Umstand, dass die Blütezeit des Zeidelwesens mit der mittelalterlichen Wärmeperiode zusammenfällt und sein Niedergang mit dem Klimasturz am Ausgang des Mittelalters einsetzte, legt den Gedanken nahe, dass klimatische Einflüsse bei dieser Erscheinung eine Rolle gespielt haben. Der Verfall der Waldbienenzucht scheint mir wie auch der Rückgang des Weinbaus wenigstens zum Teil eine Folge klimatischer Wandlungen zu sein.


    Grüße, Horst