So, nun muss auch ich noch meinen (umfangreichen) Senf dazu geben.
Bei dem Thema weiss man schon garnicht, wo man anfangen und aufhoeren soll. Ich mach's mal in 3 Teile:
Ameisensaeure im Allgemeinen
Hans Beer sagte auf einem Vortrag bei uns im Verein etwas sarkastisch, dass die hierzulande weit verbreitete Anwendung dieser Säure die Imkerschaft vor den Problemen der Milchbauern schützt, denn sie wuerde die Voelkeranzahl ausreichend begrenzen und damit eine Ueberproduktion an Honig zuverlaessig verhindern
Meiner Meinung nach sollte AS nur in Ausnahmefaellen zur Anwendung kommen. Und auch nur bei sehr starken Voelkern, die einen kompletten Brutverlust verkraften und vor der Aufzucht der Winterbienen, also nicht spaeter wie Mitte August. Das man solche Voelker auch anders behandeln kann, ist aber auch klar. Fuer mich handelt es sich bei der zweimalige Anwendung von Ameisensaeure um ein veraltetes Konzept, welches bestenfalls noch in Bio-Grossimkereien seine Daseinsberechtigung hat. Leider nimmt "Bio" mitunter wenig Ruecksicht auf die Tiere...
Nassenheider Verdunster im Speziellen
Ich denke, dass dieser nicht das Universalwerkzeug gegen die Varroamilbe darstellt, wie uns ein bestimmter YT-Kanal glauben machen will. Leider sind/werden in diesem Jahr edliche Voelker deswegen sterben. Diesen Vorwurf muss der Betreiber des Kanals mit sich herumtragen.
Der NH ist m.E. von der Grundidee nicht schlecht, leidet nach meiner Erfahrung jedoch an 4 Problemen:
- die kaum ausreichende Wetterprognose fuer den notwendigen langen Behandlungszeitraum (Wettervorhersagen >3 Tage sind hier in Norddeutschland oft Kaffeesatzleserei). Die Kollegen mit dem Schwammtuch sind da definitiv im Vorteil.
- die Verschraubung des "Pro": Wenn man nicht weiss, dass man diese bei der Montage *komplett* zurueck ziehen muss, dann aufstecken des Verdunsters auf den Voratsbehaelter, dann zurueckschieben und beim Aufschrauben aufpassen, dass man das Gewinde nicht ver-/ueberdreht, kann das schnell mal daneben gehen. Steht zwar *irgendwie* in der Anleitung, aber wenn man da unbedarft herangeht und um das Problem nicht weiss, kann es leicht daneben gehen. War bei meinen ersten Versuchen so, da ich aber diesbezueglich vorsensibilisiert war, haben die mit Wasser statt gefunden.
- Die Gebrauchsanleitung: Ich denke nicht, dass der moeglicherweise begangene Anwenderfehler Kai zuzuschreiben ist, Es gibt ja den sog. "Ikea-Paragraphen" im BGB (§434(2)), wonach ein Sachmangel auch dann vorliegt, wenn aufgrund von Unzulaenglichkeiten in der (Montage)anleitung Fehler begangen werden. Das was in der Anleitung steht, ist tlw. recht ungenau und bisweilen hahnebuechener Unsinn (bspw. die Gefahrlosigkeit einer Ueberdosierung). Mein Gott, ist es denn nicht moeglich, mal eine gescheite Anleitung zu dem Teil zu schreiben? Wir leben im EDV-Zeitalter. In anderen Wirtschaftszweigen werden fuer komplexe Parametrierungen kleine Computerprogramme erstellt, wo man seine Daten eintraegt, und dann bekommt man ein klare Handlungsanleitung, die ueber alle Zweifel erhaben ist, und wird deutlich gewarnt, wenn man Riskantes tut. So ein Programm hat ein Student locker in 4 Wochen zusammengeschustert. Fuer mich ein klarer Fall mangelhafter Produktunterstuetzung durch den Hersteller.
- Die Qualitaet des Dochtmaterials: Sowohl in der mir vorliegenden Anleitung wie auch auf der Homepage des Herstellers wird die Moeglichkeit der Verwendung 85%iger Saeure erwaehnt. Leider ist das mir in diesem Jahr gelieferte originale Dochtmaterial (2 verschiedene Quellen) nicht ausreichend saeurefest. Ein paar Fotos von meinen Versuchen sind unter folgendem Link zu finden: http://www.bienenaktuell.com/f…erfahrung-mit-verdunstung
Keine Sorge: Ich bin ein vorsichtiger Mensch. Diese Bilder sind auf meiner Gartenterrasse und nicht im Bienenstock entstanden. Leider ist es jedoch (wenn man denn ueberhaupt mit AS behandeln moechte) in bestimmten Situationen unumgaenglich, 85iger Saeure zu benutzen (ja, ich weiss, die Zulassung usw...blabla...). Stichwort fuer "Unglaebige": Saeuresee bei 60%iegr AS!!! Das passiert mit der 85er nicht so schnell, aber die Menge muss natuerlich angepasst werden.
Ach ja, die empfohlene Kontrolle nach 2 Tagen war in dem Fall nutzlos, weil die Dochte erst zwischen dem 3. und 4. Anwendungstag kollapierten. Und wenn die Verschraubung leckt, ist es besser, man merkt das schon nach ein paar Stunden und nicht erst nach 2 Tagen...
Ich denke, wenn sich der Hersteller mal etwas mehr hinter sein Produkt "klemmt" und aktiv und positiv mit der Kritik umgeht, kann das noch was werden. Werden jedoch Erwartungen geschuert, welche das Produkt dann nicht erfuellt, laeuft er Gefahr, rel. schnell seine Reputation zu verlieren. Und das faende ich wieder schade, denn wie geschrieben, die Grundidee des NH ist nicht schlecht.
Inzwischen habe ich uebrigens noch etwas herumexperimentiert (auf der Gartenterrasse). Mir ist eingefallen, dass wir in den 80ern immer mit 85er AS-gedraenkte Bierdeckel unter die Voelker geschoben haben (Hinterbehandlungsbeute). Die hat's nicht zerfressen. Dershalb habe ich mir einen grossen Docht aus einem Bierdeckel geschnitten und siehe da: Der haelt die 85er Saeure aus! Verdunstungsmenge 30 ml/Tag. So soll's sein.
Was ich besonders interessant finde: Ich habe neben dem NH mit dem Bierdeckeldocht und der 85er Saeure zur Kontrolle einen weiteren NH-Prof. mit 60er Saeure und dem kleinen Docht stehen. Tagestemperatur ca. 12 Grad, Nachttemperatur ca. 8 Grad. Die Abtropfmenge ist bei diesem 15ml/Tag, soweit sogut. Aber das Fließtuch ist trotz der geringen Menge pitschenass, waehrend der grosse Docht zusammen mit der 85er Saeure und 30ml lediglich einen nassen Fleck produziert hat - sieht man schoen, weil der Bierdeckel einen roten Werbeaufdruck hatte; die rote Farbe hat's geloest und diese markiert jetzt das Ende vom Fleck
Meine Meinung: Unterhalb von 15 Grad Tagesmitteltemperatur sollte nur noch 85er Saeure mit einem brauchbaren Docht (Bierdeckel, Charge vorher testen!) verwendet werden. Hingegen finde ich das "Warmhalten" des Verdunsters mittels geschlossenem Flugloch, welches Dirk Unger empfielt, kreuzgefaehrlich, nimmt er doch den Bienen die Moeglichkeit, die Stockluftkonzentration in gewissen Grenzen selbst zu regeln. Irgenwo muss ja auch die ganze Saeure hin, die da so verdunstet...
Ein weiteres Problem, welches noch nicht diskutiert wurde: Bei hoher Luftfeuchtigkeit kann sich in der Beute saures Kondensat bilden (besonders bei geschlossenem Flugloch und Verwendung von 60er Saeure). Ich kann mir gut ausmalen, was passiert, wenn die Bienen damit in Kontakt kommen. Es wurde ja auch berichtet, dass es bei gleichmaessig geringen Temperaturen (also kein ploetzlich verdunstender Saeuresee) dennoch zu einem sehr starken Totenfall kam. Deshalb: Unter von 15 Grad Tagesmitteltemperatur Finger weg von der 60er Saeure!
Nun noch zu Varroabehandlung im Allgemeinen
Leider werden wir die Varroa nicht in den Griff bekommen, solange wir, wie derzeit noch, herumbasteln und herumdoktern. Auch die Institute spielen da bisweilen eine unruehmliche Rolle. Das ganze dann noch mit diversen Heilspropheten garniert (Stichworte: Schallbehandlung, thermische Behandlung, Wunderkaeuter, Killerinsekten usw.), fuehrt mit Sicherheit in den Abgrund. So sehr man den alten Liebig kritisieren mag: Aber er ist mit seinem "Teilen und Behandeln" m.E. auf dem richtigen Weg. Auch ein guter Ansatz:
Wenn man das Varroaproblem als Regelkreis betrachtet, kommt man mit etwas Statistik schnell dahinter, wie optimal zu behandeln ist. Jede Behandlung wirkt lediglich als Daempfungsglied bei der Populationsentwicklung der Milbe. Die Behandlung muss nicht nur so erfolgen, dass man die Bienen "irgendwie ueber den Winter bringt". Vielmehr ist es wichtig, statistisch und ueber mehrere Jahre betrachtet, die Milbenpopulation im Januar immer weiter unter Null zu druecken (0,0 ist nicht moeglich!). Hierzu kann die Zuechtung einen wertvollen Beitrag leisten. Gelaenge es bspw., die Reproduktionsrate der Milben um rd. 30% zu verringern (Stichwort VSH), koennte man das angestrebte Ziel recht bienenschonend erreichen. Es geht (muss) aber (derzeit) auch ohne Zuechtung funktionieren. Ich werde mir im Winter mal eine Excel-Tabelle erstellen, in die ich meine Werte pro Volk (Reproduktionsrate der Milben, Behandlungstermine- und Erfolge) eintragen kann und dann sehe, wo ich mich im Regelkreis befinde. Da erkennt man dann auch schnell, wann und ob Nachbehandlungen notwendig sind, auch wenn es dem betreffenden Volk augenscheinlich (noch) gut geht.
Kai's Gewissensbisse kann ich gut nachvollziehen. Die Vorwurfsvollen Blicke meine "Damen" beim Entfernen des Verdunsters nach meiner letzten AS-Behandlung werde ich so schnell nicht vergessen...
Mein Behandlungskonzept fuer das kommende Jahr sieht deshalb folgendermassen aus:
1. Drohnenbrut 1x im April schneiden, dabei Befallskontrolle (ausklopfen der Maden, evtl. ein zweiter Schnitt Anfang Mai). Bitte beachten: Ausreichend Drohnen im Volk verbessern den Waermehaushalt (lt. Hans Beer) und tragen dadurch zu einer Verringerung der Reproduktionsdynamik bei den Milben bei (Verkuerzung der Brutzeit der Arbeiterrinnen). Man soll es also mit dem Drohnenbrutschneiden nicht uebertreiben!
2. Wo immer moeglich, Jungvolkbildung im Juni (solange noch allerorten mit AS behandelt wird, finden sich im kommenden Fruehjahr ausreichend Kaeufer
3. Befallskontrolle Anfang Juli, ggf. Verzicht auf weitere Honigernte, wenn Befall zu stark
3. Teilen und Behandeln (mit Oxalsaeure, Milchsaeure ist zu schwach); man gewinnt dabei auch noch eine neue Weisel!
4. Befallskontrolle vor dem Widervereinigen, ggf.! Nachbehandlung mit Bayvarol/Amitraz im jaehrlichen Wechsel (wg. Resistenzproblematik), aber nur wenn wirklich notwendig!!! Ziel muss es sein, nach der Wiedervereinigung nicht mehr wie 100 Milben im Gesamtvolk zu haben.
5. Oxal- oder Milchsaeurebehandlung im November/Dezember (je nach Temperatur und Befallsgrad)
Wichtig: Waben, welche mit Bayvarol oder Amitraz in Beruehrung gekommen sind, muessen im folgenden Jahr ausgesondert werden (bei "Teilen und Behandeln" kein Problem) und duerfen auf keinen Fall in den Wachskreislauf gelangen!
PS: Ich weiss, das war jetzt bissel viel...hoffentlich liesst das jemand...und kann mit seinen 3 Meinungen zu meinem Pamphlet sachlich umgehen